„Videoarbeit ‚Sichtweisen’
Ziel ist es, Grundlagen der Videoarbeit kennen zu lernen und auszuprobieren. Darüber hinaus werden wir uns mit der Frage befassen, wie diese Technik von Menschen mit einer Behinderung genutzt werden kann, um ihre eigene Sicht der Dinge zu veröffentlichen …“
… Mit diesen Worten wurde eine dreitägige Bildungsveranstaltung des Fachbereiches Integrative Gemeindearbeit im Pädagogisch-Theologischen Institut der Evangelischen Kirche im Rheinland angekündigt. Erika Zipf-Bender (Referat Integrative Behindertenarbeit, Kirchenkreis Neuwied) und Günter Bertram (Landeszentrale für Private Rundfunkveranstalter Rheinland-Pfalz) ermöglichten damit als Team zum zweiten Mal einer Gruppe von Interessierten, erste Eindrücke im Umgang mit einer digitalen Videokamera und einem computergestützten digitalen Schnittplatz zu gewinnen. Es wurden kurze Videosequenzen gedreht und dabei eine Vielzahl von Methoden erprobt (Stop-Trick, Portraits, Rätsel etc.) sowie Hinweise zur Kameraführung gegeben. Alle Arbeiten sind, unter Berücksichtigung filmgestalterischer Standards, zu einem 18-minütigen Film zusammengeschnitten worden. Die Handlungsschritte wurden, wie angekündigt, auf ihre Umsetzbarkeit in der Arbeit mit Menschen mit Behinderung beleuchtet. Und zwar richtig.
Richtig heißt in diesem Zusammenhang: Zehn TeilnehmerInnen mit und ohne Behinderung überprüften die Eignung der Mittel und Methoden gemeinsam. Seminarangebote, die den Gedanken der Integration berücksichtigen, sind auf dem Gebiet der Fort- und Weiterbildung bis heute leider noch immer eine Besonderheit. So ist es auch das erste integrative Seminar gewesen, das ich besucht habe und endlich konnte ich vergleichen, ob es stimmt, was ich in der Literatur über gemeinsames Lernen in integrativen Gruppen gelesen habe. Ob eine andere, angenehmere Atmosphäre geschaffen werde, ob die Aufbereitung der Inhalte mit dem Fokus auf das Wesentliche allen zu Gute käme und ob ein maßvolles Voranschreiten im Lernstoff sich auch für mich eigne. Besonders interessierte mich, was von den Menschen mit einer Behinderung ich wohl lerne, das nur sie mir beibringen können?
Alle Hoffnungen, die ich hatte, haben sich vollauf bestätigt. Und nun mögen Kritiker anmerken, das sei verständlich, schließlich handele es sich auch um eine Themenstellung, die sich direkt mit der Lebenswirklichkeit von Menschen mit einer Behinderung befasst. Dem will ich von vornherein entgegen halten, dass sich jedes Thema eignet, um es mit Menschen mit einer Behinderung zu erarbeiten – solange sie selber die Möglichkeit erhalten, ein subjektives Interesse daran zu zeigen.
Was hat im Einzelnen dazu geführt, dass wohl alle TeilnehmerInnen von dem Seminar profitieren konnten? Was hat dazu beigetragen, dass für die integrative Lerngruppe ein Wissenszuwachs auf dem Gebiet der Videoarbeit geschaffen wurde?
- Rahmenbedingungen und technische Ausstattung
Da sind die Rahmenbedingung zu nennen. Die gute Unterbringung und Verpflegung im PTI, die mediale Ausstattung des PTI und die annähernd rollstuhlgerechten baulichen Voraussetzungen.
Wesentlich war auch die Bereitstellung der neusten Videotechnik durch die ‚Landeszentrale für Private Rundfunkveranstalter Rheinland-Pfalz’. Die Gruppe hatte auf diese Weise zwei hochwertige digitale Kameras zur Verfügung, deren Grundfunktionen einfach zu bedienen sind. Mit der Kenntnis nur weniger gut erreichbarer Tasten, war es allen TeilnehmerInnen möglich, Aufnahmen zu machen und die Zoomfunktion zu benutzen. Die Kameras sind zudem so leicht, dass sie auch ohne Stativ gut nutzbar sind. Außerdem haben sie einen LCD-Schirm. Niemand musste direkt durch den Sucher schauen, um zu sehen, was er gerade filmt. Das ist so auch möglich, wenn die Kamera zum Beispiel auf dem Schoß steht. Außerdem kann man die Umgebung im Auge behalten und feststellen, ob sich ein Kameraschwenk lohnt. Gerade den Bedürfnissen der Teilnehmer mit einer Körperbehinderung konnte damit Rechnung getragen werden. Aber nicht nur das. Haben Sie schon einmal einen Filmausschnitt gesehen, der aus der Perspektive eines Rollstuhlfahrers gedreht wurde? Schauen Sie sich einen an. Sie werden vieles wahrnehmen, was Ihnen vorher im Traum nicht eingefallen wäre. Es ist die „eigene Sicht der Dinge“, die diese Aufnahmen reizvoll macht. Die „eigene Sicht“ hat aber noch eine andere Bedeutung: die der eigenen Meinung und Überzeugung. Diese ist bei den Dreharbeiten besonders durch die Schwerpunktsetzung und die treffenden Formulierungen der TeilnehmerInnen mit einer Behinderung deutlich geworden. Vor diesem Hintergrund haben die gemeinsamen Lernsequenzen und die entstandenen Filmsequenzen dazu beigetragen, dass die Menschen mit einer Behinderung mich ein Stück weit in ihre Wirklichkeit integriert haben. - Methodisch-Didaktische Aufbereitung
Zu nennen ist aber auch die Herausforderung, die die beiden Referenten auf sich genommen haben. Sie mussten entscheiden, welche Inhalte sie vermitteln wollten und wem sie diese Inhalte wie vermitteln können. Wo eignet es sich, ein gemeinsames Fundament zu legen, wo können ergänzende Informationen gegeben werden und wo muss womöglich so weit innere Differenzierung betrieben werden, dass einzelne SeminarteilnehmerInnen an unterschiedlichen Aufgaben arbeiten? Es ist den beiden gut gelungen. Und das, abgesehen von der Grundausstattung, mit einem geringen Materialaufwand. Der besonnene Umgang miteinander, die wohlüberlegte Planung und Formulierung von Zielen für das gemeinsame Wochenende (am Ende sollte immerhin ein gemeinsam produzierter Kurzfilm stehen) und die Überzeugung, dass es wichtig ist, Menschen mit und ohne Behinderung lernen zu lassen, haben dazu beigetragen.
‚Normal’ ist, dass Bildungsangebote in integrativer Form stattfinden – meine Hoffnung
„Das Normalisierungsprinzip beinhaltet, allen Menschen mit […] Behinderung Lebensmuster und Alltagsbedingungen zugänglich zu machen, die den üblichen Bedingungen und Lebensarten der Gesellschaft soweit als möglich entsprechen“ (Nirje 1994, 177).
Integrative Bildungsangebote für Erwachsene mit einer Behinderung tragen neben der Möglichkeit, arbeiten gehen zu können, aus dem Elternhaus auszuziehen und selbstbestimmt die Freizeit gestalten zu können, dazu bei, ‚normale‘ Lebenssituationen für sie zu schaffen. Aber auch ich wünsche mir, dass es für mich ‚normal’ wird, mit Menschen mit Behinderung gemeinsam zu lernen und zu leben. Ich konnte in den letzten Jahren einige Erfahrungen im Umgang mit ihnen sammeln – allerdings immer aus einer anderen Perspektive, als Begleiter, Assistent oder Lehrer, und nie zuvor in einer Situation, in der wir absolut gleichberechtigt gewesen wären. Immer gab es dort ein Machtgefälle. Das war auf diesem Seminar anders. Meine Ansprüche an, meine Wünsche für und meine Vorstellungen von Videoarbeiten waren nicht mehr wert als die der Menschen mit Behinderung. - Das Arbeitsklima
Das Arbeitsklima war hervorragend. Die Aussicht, drei Tage gemeinsam zu verbringen und die offene Art des Teams ließ Hemmungen im Umgang miteinander schnell schwinden. Hinzu kam, dass einige SeminarteilnehmerInnen sich schon vorher kannten. Die gemeinsamen Essens- und Freizeitsituationen trugen dazu bei, dass notwendige Handreichung für die beiden Teilnehmer mit einer Körperbehinderung zur Selbstverständlichkeit wurden und schnell gemeinsame Gesprächsthemen über den unmittelbaren Seminarinhalt hinaus gefunden wurden.
Angaben zur Person:
Sebastian Lochte, 23 Jahre alt, studiert seit 7 Semestern Geistig- und Körperbehindertenpädagogik, Lehramt Primarstufe an der Heilpädagogischen Fakultät der Universität zu Köln, ist Teilnehmer am Videokurs im Rahmen des Zertifikatskurses für ehrenamtlich Tätige des PTI gewesen, arbeitet ehrenamtlich bei der Behindertenbeauftragten des Amtes für Diakonie Köln, Petra von Tesmar.
Author: Sebastian Lochte
E-Mail: slochte@web.de