Sachsen / Sachsen-Anhalt im August 2002: An Elbe und Mulde, an Weißeritz und Müglitz wird der Notstand erklärt. Die Flut zerstört nicht nur Häuser und Verkehrswege, verletzt und tötet Menschen, sie verändert den Alltag von Millionen Flussanliegern und prägt ihre Informationsbedürfnisse. Die sachsen-anhaltinischen Offenen Kanäle in Wittenberg, Dessau, Magdeburg und Stendal waren jeweils unterschiedlich davon betroffen.
In Wittenberg misst der Elbe-Pegel am Freitag, dem 16. August 8,39 Meter, als Ditmar Rudolf, Leiter des Offenen Kanals, die erste offizielle Presseinformation der Stadt erhält. Bei der Landesmedienanstalt fragt er nach, ob er in dieser Situation ausnahmsweise staatliche Verlautbarungen in den Videotext aufnehmen darf. Noch fließen die Behördeninformationen spärlich. Am Sonntag ist das Wasser nur noch 300 m vom Offenen Kanal (der allerdings im 3. Stock eines Gebäudes liegt) entfernt. Ditmar Rudolf schnappt sich eine Kamera, geht raus – und tauscht die Videokamera gegen eine Schippe. Ab Montag gehen häufiger Pressefaxe ein. Rudolf und sein einziger Kollege stellen die Texte Stunde um Stunde in den Videotext des Offenen Kanals: Die Einsatzzentrale erklärt den Umgang mit Sandsäcken; Helfer werden gesucht, um Spenden auszupacken. Auf der neuen Elbbrücke in Wittenberg stehen ARD, ZDF und RTL. Einzelne Wittenberger rufen an und beschweren sich, dass der OK mit der Non-Stop-Berichterstattung der großen Sender nicht mithalten kann. Nachdem der Pegel nicht weiter steigt, kommen die ersten Sendebänder von Nutzern aus der Hochwasserzone. Regelmäßig erscheint der Oberbürgermeister auf dem Bildschirm und nimmt zur aktuellen Lage Stellung.
Dessau sei am schlimmsten betroffen, heißt es anderenorts. Und tatsächlich ist die Muldestadt auch Ende August noch nicht gänzlich hochwasserfrei. Der Dessauer Stadtteil Waldersee gehört neben Grimma, Weesenstein und Anderen zu den Namen, die sich Lesern und Zuschauern eingeprägt haben. Das Gebäude des Offenen Kanals liegt im Zentrum der Stadt, außerhalb der Überschwemmungszone. In den dramatischen Tagen des steigenden Muldepegels ist das Studio geschlossen, die MitarbeiterInnen gehen Sandsäcke füllen. Die Texttafeln des Offenen Kanals weisen auf die verschiedenen „Hotlines“, die Informationszentralen der Behörden und der Einsatzkräfte hin. Zur gleichen Zeit sendet TV Dessau stündlich Flutnachrichten. Der Offene Kanal, der mit dem kommerziellen Lokalsender oft verwechselt wird, entzieht sich in dieser Lage der Konkurrenzsituation.
Auch in Stadtvierteln der Landeshauptstadt Magdeburg steht braunes Elbewasser. Der Offene Kanal ist flutfrei, die OK-MitarbeiterInnen konsultieren sämtliche aktuellen Informationsquellen, insbesondere im Internet, und bringen in einer Textschleife alles auf den Bildschirm, was für die 65.000 angeschlossenen Haushalte wichtig sein kann. Feuerwehr und THW nehmen den Offenen Kanal in ihre Verteiler auf, Straßen- und Schulschließungen werden laufend aktualisiert. Zu Gunsten des Infoservice wird der Sendebetrieb herunter gefahren. Zwei Sondersendungen informieren die Magdeburger Bevölkerung live über den Stand der Schäden, Beeinträchtigungen und der Hilfsmaßnahmen.
Andreas Bredow ist Leiter des Offenen Kanals Stendal. An seinem Magdeburger Wohnsitz ist er evakuiert worden, an seinem Arbeitsplatz blieb er verschont. Der Elbdeich ist 12 km von Stendal entfernt und hielt Stand. Der Offene Kanal Stendal hat mit Hilfe vieler Ehrenamtlicher die umfangreichste Fernsehberichterstattung über die Flut produziert; teilweise profitierten davon auch andere Bürgerkanäle im Land. Jeden Morgen um 8.30 Uhr wurde die Pressekonferenz des Landratsamts übertragen, jeden Nachmittag um 16 Uhr die der Einsatzleitung. Per Flugzeug, Boot und mit dem Pressebus des Landratsamtes waren die OK-Nutzer unterwegs; zu den regulär ca. 60 Minuten OK-Sendezeit kam in den Zeiten der Flut pro Tag noch einmal ca. 1 Stunde Sondersendungen. Berichte von den Deichen, Evakuierungen, Schadstoffbelastungen, Spendenaktionen gehörten zu den wichtigsten Themen. Andreas Bredow hat vor einiger Zeit in Bremen einen Vortrag von Freimut Duve, dem OSZE-Beauftragten für Medien gehört. Duve berichtete über die Lage der Medien in den früheren jugoslawischen Bundesstaaten. Ein wenig erinnert der Elbe-Notstand Andreas Bredow an eine Kriegssituation. An der Front, an der für aktuelle, gerüchtefreie, sachgemäße Information der betroffenen Bevölkerung gekämpft wird, sieht er auch die Offenen Kanäle in Stellung.
Author: Hans-Uwe Daumann
E-Mail: redaktion@connex-magazin.de