Gera: Fingernägel kauen ist megaout!

13.30 Uhr am 14. Mai im Offenen Kanal Gera: Der Medienpädagoge Mirko Pohl läuft mit einem übergroßen Computerausdruck durch die Gegend. Auf dem Ablaufplan der längsten Livesendung in der achtjährigen Geschichte des Offnen Kanals sind bereits einige Positionen durchgestrichen: Das „Körnerfrühstück“ ab 8 Uhr – abgefrühstückt. Vier „Zwiegespräche“ beendet, der „Musikalische Blumengruß“ überbracht. An „Kochen mit Hella“ erinnert nur noch der unabgeräumte Tisch. Im Studio 1 läuft gerade „Impetus zum Dessert“ – Rudolf Barkowsky, der sonst hinter der Kamera wirkt, moderiert eine Künstlerrunde. Die OK-Leiterin Ute Reinhöfer ist für eine knappe Stunde selbst Talkshowgast, denn der Offene Kanal Gera beherbergt mit der „schassen galerie“ auch ein Ausstellungsprojekt.


14 Stunden lang feiert der Offene Kanal Gera am 14. Mai live „20 Jahre Offene Kanäle in Deutschland“. Der Offene Kanal Gera? Richtig! Er war 1996 der erste, der in einem neuen Bundesland auf Sendung ging. 4.500 Sendungen wurden von Geraer Bürgern produziert, knapp 150.000 Menschen zwischen Gera und Greiz können das nichtkommerzielle Lokalfernsehen empfangen. Mit dem Geburtstagsfest für ein Medium, dessen Geschichte 1984 im südwestdeutschen Ludwigshafen begann, setzt der thüringische Sender sich wieder einmal an die Spitze einer Bewegung. 1998 hatte Gera Furore gemacht, als in dem anstaltsgetragenen Sender der „bundesweit erste Offene Kinderfernsehen“ unter dem Namen „Pixel-Fernsehen“ ins Leben gerufen worden.


15.00 Uhr: Im Untergeschoß hat das Pixel-Fernsehen seine Räume. Hier ist es bunt und gemütlich; in den Ecken stehen Farbdosen, Pinsel und anderes Kreativmaterial. Mirko Pohl übernimmt für eine Stunde die Rolle des Moderators; zusammen mit seinem OK-Kollegen Frank Karbstein befragt er Kinder und Erwachsene: Heute werden im Pixel-Fernsehen ausnahmsweise medienpädagogische Projekte vorgestellt, an denen der Offene Kanal beteiligt ist. Auch die Technik ist im Pixel-Studio kindgerecht: Statt großer Studiokameras steht eine handliche Videokamera im Raum, die auch an diesem Tag von einer Schülerin bedient wird.
Pixel-TV brummt: Spätestens die Einführung des Schulfachs Medienkunde in Thüringen hat dafür gesorgt, dass die „Auftragsbücher“ der Pixel-Medienpädagogen mehr als gefüllt sind.
16.00 Uhr: Zur Programmvorschau wird umgeschaltet ins Studio 2, kurz darauf ins Studio 1 zur ersten von 3 „herzhaften“ Gesprächsrunden. Die Zuschauer merken nichts davon, dass sich „Studio 1“ und „2“ im gleichen Raum befinden; „Studio 3“ ist im OK-Eingangsbereich in einer Nische aufgebaut; hier wird endgültig jeder Besucher ins Livegeschehen einbezogen. Hier verliest Eszter Rotter Zuschauergrüße und Jörg Nossol diskutiert über „Jungensträume“.
In der IKEA-Sitzrunde im eigentlichen Studio wird die Geschichte Offener Kanäle aufgearbeitet: Wie kam der erste Nutzer in den ersten Offenen Kanal? Wie kam der erste thüringische OK nach Gera? Und was halten die Lokalpolitiker vom lokalen Bürgermedium? In Gera, wo regelmäßig Stadtratssitzungen übertragen werden, gibt es keine „Scheu vor dem Medium, aber auch keine längeren Redezeiten“, meint Klaus-Peter Creter, CDU-Stadtrat und Vorsitzender der Versammlung der thüringischen Landesmedienanstalt. Es werde aber durchaus von den Zuschauern „beobachtet, wer in der Sitzung an den Fingernägeln kaut“, fügt seine Ratskollegin Gitta Tschach an.


3 Minuten vor 22 Uhr: Frank Karbstein, Medienpädagoge, Puppenspieler und OK-Ansager mit dem Talent, charmant Zeit zu schinden, lässt live die Scheinwerfer ausknipsen. Seine letzten Worte zur Nacht hört man noch, ohne dass man ihn sieht. Gera vorne: Hier wird die Flamme der OK-Bewegung gehütet. Hier wird aber auch – für Thüringen und darüber hinaus – experimentell für die Zukunft Offener Kanäle gearbeitet. „EspressoTV“ heißt ein solches Modell „technischer Dienstleistung für politische Diskussionssendungen“. 2007 kommt die Bundesgartenschau nach Gera, bis dahin wird die Stadt völlig umgebuddelt. Der Offene Kanal Gera hat sein BuGa-Projekt schon gestartet. 

Author: Hans-Uwe Daumann
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