Vielleicht ist die regionale Musikszene rund um Ludwigshafen bald um einige talentierte Hiphop-Newcomer aus Oggersheim-West reicher: Manuel Kneis, Timo Dechant, Dennis Marnet und Ricardo Rosario reimten und rappten bisher zu ihrem Privatvergnügen. An ihrem Treffpunkt, einem Bolzplatz zwischen Hochhäusern, wurden sie von den angehenden Sozialpädagogen Marion Armbruster und Deniz Duman auf ihre Talente angesprochen. Die 4 Hiphopper und einige Freunde trafen sich mit den Oggersheimer Musikproduzenten Markus und Wolfgang Wahl und dem Schauspieler und Regisseur Uwe Heene. Rasch entstanden Ideen für eine Musik- und Videoclip-Produktion. Inzwischen sind die vier, die ihre Musik bisher mit Hilfe einer Playstation zu Stande brachten, ins Tonstudio gegangen. Mit ihrer Clique erarbeiten sie ein Drehbuch und planen die Dreharbeiten für ihr Musikvideo.
Möglich wurde das Ganze durch die Förderung lokaler Projekte aus dem LOS-Budget des Soziale-Stadt-Programms. Im Rahmen des Bundesprogramms „Soziale Stadt“ fließen Millionen europäischer Gelder in deutsche Stadtquartiere, die besonderen sozialen und wirtschaftlichen Aufholbedarf haben. Ein Teilbudget davon heißt „LOS – Lokales Kapital für soziale Projekte“ und kann von Initiativen vor Ort für „Mikroprojekte“ beantragt werden. An LOS beteiligt sich der Offene Kanal Ludwigshafen gleich mit zwei Medienprojekten für Jugendliche; „Freiräume“ heißt die Aktion des Offenen Kanals in Oggersheim-West; „Leute in West“ das etwas anders ausgerichtete Vorhaben in einem weiteren von insgesamt 4 Ludwigshafener „Soziale-Stadt-Quartieren“.
Gleich mehrere Videogruppen haben sich in Oggersheim ans Werk gemacht. Vier Schülerinnen der Integrierten Gesamtschule waren in ihrem Betriebspraktikum, das sie im Offenen Kanal verbrachten, als Reporterinnen im Stadtteil unterwegs und dokumentierten die Entstehung von „Fort LU“ auf dem Abenteuerspielplatz, die Einweihung des Bolzplatzes in der Hermann-Hesse-Straße und die Verschönerung der Grünanlagen in der Hans-Böckler-Straße, alles drei Projekte im Rahmen von „Soziale Stadt“. Eine Schülergruppe der Schlossschule Oggersheim ging der „Legende von der abgeschlagenen Hand“ auf den Grund; mit Videokamera und Mikrofon machten sie sich im Stadtteil auf die Suche nach dem „Geisterweg“ und nach dem Ursprung der sagenhaften Erzählung.
Der Einsatz von Medien im Rahmen der LOS-Kampagne dient mehreren vorformulierten Zielen: Jugendliche werden qualifiziert, „Mikroprojektträger“ im Quartier vernetzt und die lokale Öffentlichkeit informiert. Wer ein LOS-Projekt anstrebt, findet unter www.soziale-stadt.de eine riesige Liste bereits abgeschlossener Projekte, darunter auch etliche medienbezogene Aktivitäten – nicht wenige von ihnen in der Trägerschaft von Bürgersendern.
Beispiele: In der Mainzer Neustadt, ebenfalls „Soziale-Stadt-Quartier“, produzierte die AG türkisch sprechender Neustadtbürger mit der Arbeiterwohlfahrt eine Dokumentation über „Lebenswege der ersten Gastarbeiter“. Offener Kanal und Bildungszentrum BürgerMedien assistierten, und im OK Mainz wurde der Film 2004 sowohl in der türkischen wie auch in der deutschsprachigen Fassung gesendet.
„Aus Freundschaft wurde Verwandtschaft“, hieß ein Fazit in Mainz, „Aus Fremden werden Freunde“ das Motto der Videowerkstatt Westend in Wetzlar. Der Kampf gegen Ausländerfeindlichkeit und für ein gutes nachbarschaftliches Miteinander gehört ebenfalls zu den Zielen der „Sozialen Stadt“. Typischerweise sind die traditionslosen, nur nach einer Himmelsrichtung benannten Neubauquartiere des 20. Jahrhunderts im Visier des Programms. Dabei hat das Giessener „Nordstadtfernsehen“ einen Ansatz, der über ein Mikroprojekt hinaus geht. Die Gießener Initiative, die vom dortigen Offenen Kanal unterstützt wird, hat ihren Sitz direkt im Stadtteilbüro, wird vom Quartiermanager geleitet und produziert mit Hilfe einiger Ehrenamtlicher monatliche Magazinsendungen. Das Nordstadtfernsehen sprengt vom Umfang her den Rahmen der auf 10.000 Euro limitierten „Mikroprojekte“ und wird daher aus anderen Haushaltstiteln von Bund, Land und LPR Hessen unterstützt.
Auch freie Lokalradios beteiligen sich an LOS. Radio Tonkuhle in Hildesheim engagiert sich bei „Radio Drispenstedt“ und Radio Free FM ist in Ulm mit dem Projekt „Ohren auf – Weststadtradio“ dabei.
Ein Kennzeichen von LOS ist die jährliche Ausschreibung der Projektbudgets, über deren Vergabe dann „Runde Tische“ in den Stadtquartieren beraten. Die Antragsteller sitzen mit Kommunalpolitikern, Quartiersmanagern und Bürgern an einem Tisch und stellen sich der Diskussion. So einfach und praxisnah diese Form der Antragstellung ist, so anstrengend wird es, wenn das Mikroprojekt die erste Hürde überwunden hat. Aus Berlin kommt die Vorlage für das ausführliche „Stammblatt“, das die Antragsteller auszufüllen haben; der sprachliche Ansatz und viele der Fragen stammen jedoch unmittelbar aus Brüssel, wo der Europäische Sozialfonds für die finanzielle Grundausstattung des Programms sorgt.
Das „Europa der Chancen“ beginnt also für die Bürgermedien im Nahraum. Die Arbeit in „Soziale-Stadt-Quartieren“ bietet viele neue Kontakte und die Möglichkeit, gezielt neue Gruppen anzusprechen. LOS-Mikroprojekte sind Experimente, deren Erfolg an Hand selbst formulierter Kriterien gemessen wird. Überraschende Erfahrungen und Erkenntnisse sind der Gewinn – nicht nur für die Teilnehmer, sondern auch für die Projektträger in den Bürgersendern und ihre neuen Partner an den „Runden Tischen“.
Author: Hans-Uwe Daumann
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