Münster/ London/ Bocana de Paiwas. In dem kleinen Dorf aus dem sie kommt, guckt kaum einer Fernsehen. Fast alle hören Radio. Das kann Yamilteh Chavarria nur recht sein. Denn die 33 jährige aus dem Provinzstädtchen Bocana de Paiwas in Nicaragua ist überzeugte Radiomacherin. Seit drei Jahren betreibt sie zusammen mit anderen Frauen den Sender „Palebra de Mujer“ (Stimme der Frau) Und die Frauen machen ein so erfolgreiches und ungewöhnliches Programm, dass sie Anfang Juni mit dem renommierten „One World Broadcasting Trust’s Award“ in London ausgezeichnet worden sind.
Die Programmformen, die sie entwickelt hat, muten für den westlichen Betrachter ungewöhnlich an. Schon morgens früh um fünf schlüpft sie in die Rolle der „schwatzenden Hexe“. Mit kichernder, kiecksender Stimme erzählt sie dann den neuesten Klatsch und Tratsch aus der Gegend, aber auch, welcher Mann in ihrem Dorf und in den umliegenden Bauernschaften wieder seine Frau oder seine Kinder geschlagen und missbraucht hat. Die Informationen bekommt sie von den Frauen, die ihr Briefe schicken und von den negativen Auswüchsen des „machismo“ berichten. „Häusliche Gewalt ist in Nicaragua ein Strafbestand, deshalb gehen wir einem öffentlichen Interesse nach, wenn wir so etwas berichten“ erzählt Yamilteh Chavarria, die auf Einladung der Christlichen Initiative Romero nach der Preisverleihung in Münster Station gemacht hat.
Die Finanzierung des Senders ist erfrischend unkompliziert. Viele Hörer wollen nämlich, dass ihre Briefe an Freunde und Verwandte im Radio verlesen werden. Und dafür müssen sie zahlen. 25 Pesos pro Brief. Deshalb freuen sich Yamilteh Chavarria und ihre Kolleginnen immer auf den Muttertag. Denn da bringen die Postreiter so viel Post in die kleine Holzhütte, aus der der Sender betrieben wird, dass sie oft fünf Tage brauchen, um die Briefflut abzuarbeiten.
Solche und ähnliche hörernahe Aktionen haben den radikal feministischen Sender, der auf seine politische und religiöse Unabhängigkeit großen Wert legt, zu einem populären Medium in Nicaragua gemacht. Die Regierung nutzt die publizistische Macht, um gesundheitliche und sexuelle Aufklärungsprogramme über den Sender zu verbreiten. Auch heikle Themen wie Abtreibung und die Sexualität der Frau haben ein festen Platz im Programm des Senders, der eng mit einem Frauenzentrum zusammenarbeitet.
Ein erfolgreiches Radioprogramm braucht natürlich gute Musik. Und da setzt der Sender ganz auf die Musik der Region. Mit kleinen Casettengeräten ausgerüstet fahren die Radiomacherinnen übers Land, und nehmen die Musik der örtlichen Amateurgruppen auf. Die Musikfarbe bestimmen die Hörer selbst mit, in Wunschsendungen dürfen sie bestimmen was gespielt wird.
Viel haben die preisgekrönten Radiofrauen schon in den letzten Jahren erreicht: Eine bessere technische Ausstattung, gute Weiterbildungsmöglichkeiten für die Mitarbeiterinnen und eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung. Aber ein großes Ziel haben sie noch vor sich. Sie wollen den Bau eines großen Stausees in ihrer Region verhindern. Und dafür ziehen die Frauen dann auch mit den Männern und örtlichen Würdenträgern an einem Strang. Denn wenn der Staudamm wie geplant käme, müßten sie alle ihre angestammten Plätze verlassen, in dem Dorf in dem fast alle Radio hören.
Author: Frank Biermann
E-Mail: drfrankbiermann@gmx.de