BFR-Kongreß am 12. und 13. November 2005 in Darmstadt

Der Bundesverband Freier Radios (BFR) veranstaltet seinen Jahreskongreß dieses Jahr bei Radio Darmstadt (RadaR). Themen werden die Reform interner Strukturen, europäische Lobby-Arbeit, die Digitalisierung des Hörfunks, sowie die Frage sein, was ein qualitatives nichtkommerzielles Programm ausmacht.

 

Der 1993 gegründete Bundesverband Freier Radios (BFR) umfaßt etwa 30 Mitgliedsradios in den meisten Bundesländern. Der Trägerverein von Radio Darmstadt (RadaR e.V.) ist seit 1994 Mitglied dieses Verbandes, dessen Ziel die Verbreitung politischer, sozialer, kultureller und musikalischer Inhalte ist, die im Medienmainstream zu kurz kommen. Ohne hierarchische Strukturen versuchen die Mitgliedsradios, selbstverwaltet und hauptsächlich ehrenamtlich die Defizite im öffentlich-rechtlichen wie privat-kommerziellen Hörfunk als ihre Stärken zu nutzen. Sie orientieren sich vornehmlich an lokalen und regionalen Gegebenheiten, sind ein Medium alternativer Öffentlichkeit und lassen Akteurinnen und Akteure zu Wort kommen, denen die Mainstream-Radios keine Stimme geben. Insbesondere die migrantischen Communities der jeweiligen Städte und Regionen finden hier eine Möglichkeit, sich zu Fragen zu äußern, die für die deutsche Mehrheitsbevölkerung in den meisten Fällen kein Problem darstellen.

 

Freie und nichtkommerzielle Lokalradios können bundesweit von etwa zehn Millionen Menschen empfangen werden. Reichweitenuntersuchungen analog zu den halbjährlichen Medienanalysen sind rar und werden auch nur selektiv vorgenommen. Es erweist sich jedoch, daß nicht auf Werbung ausgerichtete Lokalradios sich einer größeren Resonanz erfreuen, als dies so manchen öffentlich-rechtlichen und privat-kommerziellen Sendern lieb ist. Für Radio Darmstadt hat beispielsweise eine repräsentative Untersuchung Anfang 2004 eine hochgerechnete Reichweite von 30.000 Hörerinnen und Hörern innerhalb eines Zwei-Wochen-Zyklus (sog. „Weitester Hörerkreis“) ergeben. Das bedeutet, daß etwa 14% der möglichen Hörerinnen und Hörern des Sendegebietes mindestens einmal, oftmals jedoch auch mehrfach, sehr bewußt ein nicht-kommerzielles Medium ausgewählt haben.

 

Der diesjährige Jahreskongreß am Samstag, 12. November, und Sonntag, 13. November, wird in vier Arbeitsgruppen die lokal und regional geführten Diskussionen zusammenführen und versuchen, eine eigene Positionsbestimmung zu entwickeln. Die vier Arbeitsgruppen behandeln:

 

1. Die Reform und Transparenz der internen Strukturen. In den vergangenen zwölf Jahren haben sich Stärken und Defizite der ursprünglich gewählten Verbandsstruktur gezeigt. Da freie Radios möglichst nicht-hierarchische Strukturen bevorzugen, soll eine Art der Entscheidungsfindung festgeschrieben werden, die gleichermaßen effizient wie transparent ist und die zudem auf die Arbeitsbelastung ehrenamtlicher wie hauptamtlicher Verantwortlicher der jeweiligen Mitgliedsradios Rücksicht nimmt.

 

2. Immer mehr werden medienpolitische Entscheidungen durch die Vorgaben der Europäischen Kommission beeinflußt. Die Mainstream-Medien haben dazu ihre eigene Lobby entwickelt, während die – in den jeweiligen Mitgliedsländern sehr unterschiedlichen – alternativen, nichtkommerziellen oder freien Radios nach Möglichkeiten suchen müssen, sich Gehör zu verschaffen, um nicht im regulierten Deregulierungswahn unterzugehen. Auf dem letzten Kongreß des BFR in Halle im November 2004 wurde eine Entscheidung für eine europäische Lobbyarbeit getroffen, die nicht von allen Mitgliedsradios unterstützt wird. Hier besteht Diskussions- und Klärungsbedarf, für den in einer eigenen Arbeitsgruppe Platz geschaffen wird.

 

3. Die Digitalisierung der deutschen Hörfunklandschaft ist eine weitaus schwierigere Aufgabe als die Digitalisierung des Fernsehens. Eine Lösung wie im TV-Bereich, einfach die analogen Frequenzen abzuschalten und die Zuschauer/innen zwangsweise auf Kabel, Satellit oder DVB-T umzupolen, ist angesichts von rund 250 Millionen Radiogeräten eine Illusion. Das als digitale Alternative gepriesene Millionengrab DAB kann sich nicht profilieren. Hier wurden schätzungsweise 250-375 Millionen Euro Steuern bzw. Rundfunkgebühren sinnlos verplempert, ohne dass hierfür die Verantwortlichen Rechenschaft ablegen müßten. Als Alternativen werden alternative digitale Hörfunkfrequenzen (DVB-T, DVB-H, DRM usw.) einerseits und Internet-basierte digitale Lösungen andererseits diskutiert. Die Berlin-Brandenburgische Landesmedienanstalt (MABB) hat eine Debatte angestoßen, die eine ganze Bandbreite von parallelen digitalen Lösungen sichtbar macht. Gleichzeitig erfreuen sich Internetradios, Livestreams und neuerdings auch Podcasts einer wachsenden Akzeptanz. Wie sollen freie Radios auf diese Entwicklung reagieren? Müssen sie befürchten, ins Internet abgeschoben zu werden, weil sie – ohnehin ungeliebt – den Landesmedienanstalten zu teuer werden? In Berlin wurde eine Initiative für ein freies Radio in Deutschlands Metropole abgeblockt mit dem skandalösen, weil an der Wirklichkeit komplett vorbei gehenden Hinweis, Podcasts würden eine terrestrische Frequenz unnötig machen. Auch das Radio der Zukunft wird aus einem Gerät mit Antenne erschallen.

 

4. Seit – je nach Bundesland leicht verschieden – etwa zehn Jahren sind freie und nichtkommerzielle Radios in Deutschland zu hören und aus der Medienlandschaft auch nicht mehr wegzudenken, auch wenn solche (ignoranten) Gedanken in den Köpfen mancher Politiker/innen und Landesmedienanstalten herumspuken. Doch abgesehen vom partizipativen Anspruch und der erfolgreichen Vermittlung von wirklicher Medienkompetenz müssen wir die Frage aufwerfen: welche Kriterien jenseits eines vom öffentlich-rechtlichen Hörfunk herstammenden Verständnis von Journalismus haben wir entwickelt oder müssen wir noch entwickeln? Was macht freies Radio nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis aus? Woran messen wir Qualität in Inhalten, Moderation und Technik? Besitzen wir überhaupt die Ressourcen, um unsere Vorstellungen emanzipatorischen Sendens zu erfüllen? Daß wir „von außen“ mit einer zuweilen unrealistischen Erwartungshaltung konfrontiert werden, bedeutet jedoch nicht, sich mit Hinweis auf beschränkte finanzielle Mittel darauf zu beschränken, das Bestehende für das Wahre zu halten. Und daran direkt anschließend: Wie können sich freie und nichtkommerzielle Lokalradios in Zukunft legitimieren, wenn sie nicht zu Erfüllungsgehilfen für medienpädagogische Projekte der jeweiligen Landesmedienanstalten verkommen wollen, wie dies in einzelnen Diskussionen aufscheint? Denn die „Medienkompetenz“ der Landesmedienanstalten scheint sich darin zu erschöpfen, Kindern und Jugendlichen beizubringen, wie sie Medien von Computer bis Fernsehen in der bunten Warenwelt so verstehen lernen, daß sie „kompetent“ mit den Verlockungen umzugehen wissen. Ein kritischer Umgang mit dieser Medienwelt findet hier in den seltensten Fällen statt. Gerade freie Radios sind jedoch der Ort, sich von Werbung und Formatradios abzukoppeln und zu reflektieren, was „richtiges Radio“ eigentlich sein könnte – und sollte.


Weiterführende Informationen zum Bundesverband Freier Radios finden sich auf dessen Webseite http://www.freie-radios.de.

Informationen zum diesjährigen Kongreß des BFR sind auf der Webseite von Radio Darmstadt zu finden: http://kongress.radiodarmstadt.de.

Author: Radio Darmstadt
E-Mail: buero@radiodarmstadt.de

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