Vom Tagungspodium in den schulischen Alltag

Im folgenden Beitrag reagiert Katja Friedrich von der Landeszentrale für Medien und Kommunikation Rheinland-Pfalz (LMK) auf einen FK-Bericht über die Tagung „Medienkompetenz – Zauberwort oder Leerformel des Jugendmedienschutzes?“ (vgl. FK 18/06). Die von der katholischen und evangelischen Kirche sowie den Jugendschutzbeauftragten von ARD und ZDF organisierte Tagung fand am 27. und 28. April im ZDF-Sendezentrum in Mainz statt und hatte rund 300 Teilnehmer. Katja Friedrich arbeitet bei der „Stabsstelle Projektsteuerung“ der in Ludwigshafen ansässigen LMK und ist Geschäftsführerin des Bildungszentrums Bürgermedien, das bei der LMK angesiedelt ist und von weiteren öffentlichen Trägern unterstützt wird. FK

 

„Kinder aus bildungsschwachen Familien müssten in Schulen und Tagesstätten die Möglichkeit erhalten, die neuen Kommunikationstechniken kennen zu lernen.“ Mit diesen Worten zitiert Philippe Ressing in seinem obengenannten FK-Bericht über die Jugendmedienschutztagung Ende April in Mainz den Medienpädagogen Stefan Aufenanger, Professor an der Universität Mainz. Dies zu realisieren, lägen jedoch „bisher keine Konzepte vor“, wird Aufenanger weiter zitiert. Medienmacher und Politiker hatten zuvor in den Podiumsdiskussionen der zweitägigen Veranstaltung die Frage gestellt, wie Medienpädagogik bildungsferne Schichten überhaupt erreichen könne.

 

Die Landeszentrale für Medien und Kommunikation (LMK) gibt seit fünf Jahren im Bildungsalltag von Schulen und Kindergärten praxistaugliche Antworten auf diese Frage. Über die Organisation von Expertengesprächen und Fachkonferenzen hinaus erprobt und optimiert die rheinland-pfälzische Landesmedienanstalt ihre medienpädagogischen Konzepte im pädagogischen Alltag der Zielgruppe. Einen entscheidenden Schritt von den Tagungspodien herunter zu den jungen Medienrezipienten tat sie mit dem Projekt „Als das Fernsehen in die Schule ging – Videoarbeit in der Ganztagsschule“. Denn Zugang zu allen gesellschaftlichen Schichten, ob bildungsschwach oder nicht, bietet seit jeher die Institution Schule.

 

Überzeugungsarbeit in Richtung Politik und Bildungssystem

 

Aus bildungstheoretischer Sicht hat Schule den Anspruch, den Alltag von Kindern und Jugendlichen zur Sprache zu bringen. Wenn man aber die medialen Erfahrungen des Nachwuchses als pädagogisch nicht wertvoll ausgrenzt und sie somit nicht zum Gegenstand pädagogischen Handelns werden lässt, besteht die Gefahr, dass die „Herrschaft der Medien“ umso stärker durchschlagen kann. Schule ist also herausgefordert, pädagogisch ihre Bildungs- und Erziehungsgrundsätze auf diese Herausforderung einzustellen und didaktisch neue Lehr- und Lernformen zu entwickeln.

 

Die LMK hat sich im Jahr 2002 auf die Projektfahne geschrieben, mit ihrem spezifischen Feldwissen und großen Erfahrungsschatz im Bereich von praktischer Medienkompetenzvermittlung der Institution Schule zur Seite zu stehen. Zu diesem Zeitpunkt führte die rheinland-pfälzische Landesregierung das Modell der offenen Ganztagsschule ein. In über 300 Ganztagsschulen sind seitdem auf freiwilliger Basis am Nachmittag Arbeitsgemeinschaften (AGs) tätig, die inhaltlich von außerschulischen Partnern zu diversen Themen „gefüllt“ werden: So bietet sich die Chance, medienpädagogische Konzepte konstant im schulischen Betrieb zu verankern. Ziel ist es, auf diese Weise durch gute Praxisbeispiele Überzeugungsarbeit in Richtung Politik und Bildungssystem zu leisten und mit der medienpädagogischen Arbeit den „Regelunterricht“ zu erobern.

 

Seit Sommer 2004 wird die LMK in der Umsetzung des Projekts vom Bildungszentrum Bürgermedien e.V. (BZBM) und dem Medienkomptenz-Netzwerk Südwestpfalz (MKN SWP) unterstützt, um der hohen Nachfrage im Bundesland Rheinland-Pfalz gerecht zu werden. Dadurch ist es gelungen, derzeit 18 Medien-AGs an Ganztagsschulen aller Schularten anbieten zu können. Längst hat die Konvergenz der Medien ihren Einzug in die medienpraktische Arbeit gehalten, die Videoarbeit wird ergänzt durch multimediale Anwendungen.

Die Faszination des Mediums als pädagogisches Prinzip ist der methodische Ansatz. Die Schülerinnen und Schüler produzieren ihre eigenen Filme und Inszenierungen, die Medienpädagogen helfen ihnen dabei, ihre Erfahrungen zu thematisieren und ihre (medialen) Bedürfnisse zu verstehen. Es sind gerade solche pädagogischen Modelle zu bevorzugen, die insbesondere die bei Kindern und Jugendlichen beliebten Medienformate thematisieren (zum Beispiel Daily Soaps, Daily Talks, Musikszene, Horrorfilme). Medienkompetenz heißt in diesem Sinn ganz wesentlich: das Reflektieren eigenen medialen Handelns. Warum fasziniert dieses mediale Angebot? Wie wird diese Faszination hergestellt?

 

Und so entstehen im Rahmen dieser medienpädagogischen Arbeit Horrorfilme („Gefährliche Freundschaft“, Förderschule Osthofen), historische Doku-Soaps („Der Schatz im Rhein: Die Römer in Speyer“, Hauptschule Speyer), Selbstdarstellungsfeatures („Die Gefühlserzähler“, Grundschule Mehren) oder Tanzfilme (Hauptschule Ludwigshafen). Das rheinland-pfälzische Projekt „Egal, ob jung oder alt“ der Grundschule Hillesheim (unter Mitwirkung des BZBM) wurde dabei jüngst ausgezeichnet mit dem dritten Preis des von der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung bundesweit veranstalteten Wettbewerbs „Zeigt her Eure Schule – erfolgreiche Kooperationen in der Ganztagsschule“. Mit Hilfe der neuen Medien hatten die Schüler und die Bewohner eines Hillesheimer Altenheims im intergenerationellen Dialog ihre Erfahrungen ausgetauscht. Jenseits solcher größeren Projekte sind es aber vor allem die täglichen „kleinen“ Unterrichtseinheiten mit ihren spielerischen medialen Übungen, Filmanalysen oder Lockerungsübungen, die die Basis für die kontinuierliche Auseinandersetzung mit den Themen Medien, Rezeption und Wirkung bilden. Die entstandenen Projektfilme werden in der Magazinsendung „Achtung, Aufnahme! Schule macht Fernsehen“ in den Offenen Kanälen in Rheinland-Pfalz ausgestrahlt. Das erhöht den Ernstfallcharakter der medienpädagogischen Tätigkeit und führt zu sehr positiven Ergebnissen bei scheinbar „unmotivierbaren“ Schülern.

 

Medienpädagogik als Teil einer Gesamtstrategie

 

Um den pädagogischen Gehalt dieser medienpraktischen Arbeit sichtbar zu machen, wird das Ganztagsschulprojekt mit Unterstützung der Universität Koblenz-Landau/Campus Koblenz im Prozess evaluiert. Das heißt, die Erkenntnisse, die aus den Medienproduktionen, aus den Selbstreflexionen des pädagogischen Personals und aus den begleitenden Befragungen von Lehrern und Schulleitern gewonnen werden, fließen wieder zurück in eine noch bessere pädagogische Unterrichtspraxis. Das schulische Angebot im Bereich Medienpädagogik ist eingebettet in eine bildungspolitische Gesamtstrategie. Aus den Unterrichtserfahrungen entstehen Fortbildungsveranstaltungen für Lehrer und Referendare. Ab dem Wintersemester 2006 bietet das BZBM an der Universität Landau beispielsweise vier Lehraufträge zum Thema „Videoarbeit/Radioarbeit in der Schule“ für Lehramtstudenten im dritten Semester an. Im Herbst 2005 erschien die medienpädagogische Handreichung „Methoden finden, statt suchen“ (herausgegeben von LMK und BZBM), im Jahr 2003 ein „Warenkorb“ mit 80 Beschreibungen von erprobten medienpädagogischen Projekten, der die Ideenfindung für die Unterrichtsgestaltung unterstützt. Abgerundet wird die Angebotspalette von LMK und BZBM durch die „medienpädagogischen Elternabende“ für Eltern von Kindergarten- und Grundschulkindern. Hier geht es darum, die kindliche Entwicklung im Kontext ihres Medienverhaltens zu verstehen.

 

Kann (Medien-)Pädagogik vielleicht doch bildungsschwache Familien erreichen? Ein wenig schon, auch wenn „Erfolge“ nicht immer eindeutig auf eine Ursache zurückzuführen sind. Ein Förderschüler aus Osthofen jedenfalls konnte klare Zusammenhänge herstellen: “ Frau B.“, kündigte er an, „wegen Ihrer AG mach‘ ich jetzt doch den Hauptschulabschluss. Ich kann das nämlich.“ Allein dafür hat es sich doch gelohnt, dass das Fernsehen in die Schule ging.
 
02.06.06/FK

Author: Katja Friedrich in: Funkkorrespondenz
E-Mail: friedrich@lmk-online.de

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