TLM und BOK diskutieren Zukunftsfragen: Web 2.0 und Bürgermedien

„Sind Sie Lehrer?“ Jeder Teilnehmer des Zukunftsworkshops der Thüringer Landesmedienanstalt TLM und des Bundesverbands Offene Kanäle am 12. September 2007 in Gera wurde bei der Anmeldung nach der Zugehörigkeit zum Lehrerstand befragt. Die Veranstaltung trug den Titel „Neue Wege der Kommunikation – Herausforderungen für den Bürgerrundfunk und die Medienpädagogik“ und versuchte erfolgreich, beide Berufsgruppen einzufangen – die Mitarbeiter der Offenen Kanäle und der Freien Radios in Thüringen und darüber hinaus wie auch die Lehrer aus dem „Land der grünen Mitte“. Über 120 waren gekommen, um sich mit Chancen und Risiken des Web 2.0 zu beschäftigen.

Thilo Trump, Sozialforscher der Firma result aus Köln, wagte eine Definition des Zauberworts: Konstitutiv fürs Web 2.0 sind aktiv partizipierende Nutzer, die eigene Inhalte produzieren (user generated content UGC, noch ein Zauberwort) und im Netz „on demand“ zur Verfügung stellen.  Man kann Web 2.0 auch als Summe der folgenden Angebote  beschreiben: Video- und Fotocommunities (Youtube, Flickr), Social Networking Sites (Myspace), Wikisites (Wikipedia), Weblogs („Schlaflos in München“) und Podcasts. Enttäuschend: Eine Analyse der ARD-/ZDF-Onlinestudie 2006 ergibt einen Bevölkerungsanteil von 5 % regelmäßigen Web-2.0-Nutzern. Zieht man diejenigen ab,  die sich dort nur zum Lesen, Hören, Schauen aufhalten („passiv partizipierende Nutzer“), bleiben gar nur knapp 3 % übrig.
Die gehören zu den männlichen, jungen, gut ausgebildeten Deutschen, die auch sonst überdurchschnittliches Interesse an technischen Neuerungen zeigen. „Die Kluft zwischen jenen, die souverän und eigenverantwortlich mit Medien umgehen, und denen, die sich Medien eher konsumorientiert aneignen, vergrößert sich,“ sagte die Medienpädagogin Ulrike Wagner dazu – in ihrem Vortrag „Brauchen wir eine Medienkompetenz 2.0?“
In einer Typologie der aktiv partizipierenden Onliner fallen die „Produzenten“ (Filmemacher, Musiker etc.), die „Selbstdarsteller“ und die „spezifisch Interessierten“ auf – hier zeigt sich eine starke Schnittmenge zu den Bürgersendern. Trump prognostiziert, dass (nicht nur für diese) das Internet zum Standard-Distributionskanal werden wird.

„Probieren, was dort geht“, war die Schlussfolgerung von Michael Schmid vom Beratungsunternehmen goldmedia. Web-TV biete die Chance einer Bürgermedien-Renaissance. Im Netz könnten jüngere Zielgruppen erreicht werden (auch wenn insgesamt schon heute die 40- bis 49-jährigen die größte Onlinergruppe stellen). Die Gefahr, dass die Bürgersender komplett ins Netz verbannt werden könnten, sieht auch Schmid; er setzt auf beide Kanäle – Kabel-TV und Internet.

Nach der Mittagspause hatten die Anwender das Wort. Arnd Bernstein, IT-Dienstleister und Ehrenamtlicher im Offenen Kanal Dortmund, demonstrierte Livestream und Video on Demand auf der Website von florian tv (so heißt der, gemeinsam mit der Uni Dortmund betriebene Bürger-Lokalfernsehsender). Für die Mitarbeiter an der Sendeabwicklung hat Bernstein eine pflegeleichte Anwendung für die Internet-Zweitverwertung programmiert: „2 Mausklicke, und der Beitrag ist im Netz“. Dort werden die Filme im Youtube-Standard Flash angeboten. Auch die Geduld der Web-Zuschauer folgt der Youtube-Norm: „Die Leute  gucken nicht den ganzen Beitrag – wir haben eine Verweildauer von 3 bis 4 Minuten.“

Sylvia Gawehn von Radio Funkwerk ist mit Podcasts im World Wide Web vertreten – aktuelles Beispiel sind die sendereigenen „Senioren im Netz“. Das Onlineangebot des Erfurter Bürgersenders will sie weiter ausbauen. Wenn nur die GEMA-Hürde nicht wäre – erst seit kurzem sind Podcast-Lizenzen bei der GEMA (stilgerecht online) zu erwerben. Für manche anderen Formen des Bürgerrundfunks im Web existieren zur Zeit überhaupt noch keine praktikablen GEMA-Regeln.

Jochen Fasco, Direktor der Thüringer Landesmedienanstalt TLM, zog als Gastgeber ein Fazit und wog Theorie und Praxis: Das Internet habe die Lebenswelt der Menschen verändert, aber nicht den Menschen. Das Web 2.0 stelle die Medienkompetenz vor neue Herausforderungen. Hier seien die Bürgermedien gefragt, ihre spezifischen Qualitäten einzubringen:
„Bürgermedien müssen auch über neue Technologien ihre Akteure und Nutzer ansprechen. Besonders wichtig ist es, dass die im Bürgerrundfunk erreichte Qualität auch dort Gültigkeit behält. Dies ist oft entscheidendes Unterscheidungsmerkmal zu Angeboten bei YouTube oder MyVideo.“

Author: Hans-Uwe Daumann
E-Mail: daumann@medienundbildung.com

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