„Sowohl als auch“ statt „Entweder – oder“
Wie Medien bei Integration, Bildung und Emanzipation helfen können: Thema der Tagung „Interkulturell mit Medien“ am 30.11.2007 in München.
Im Prolog zu seinem Referat entschuldigte sich Dr. Paul Mecheril, dass er keine Powerpoint-Präsentation vorbereitet habe, sondern mit dem antiquierten Medium der Overhead-Folie vorlieb nehme. Augenzwinkernd stellte er sich als medientechnisch defizitär und damit als typischen Migranten dar. „Die Heimat des Migranten ist das Defizit“ hieß eine der Thesen auf seinen Folien. „Die Migrationsgesellschaft bringt die Migranten hervor“ eine andere. Die defizitorientierte „Ausländerpädagogik“ erlebe seit PISA eine Renaissance, lautete seine Kritik. Differenzen seien aber nicht als „Defizite zu verstehen, sondern als etwas Wertzuschätzendes“, eine seiner Forderungen.
Die Tagung „Interkulturell mit Medien“ des JFF – Instituts für Medienpädagogik in Forschung und Praxis, die am 30. November 2007 im Haus der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) in München stattfand, näherte sich ihrem Thema recht grundsätzlich, und das war gut so. Einige vordergründige Thesen und Forderungen zum Thema Medien in der Migrationsgesellschaft wurden auf ihre Plätze verwiesen. Weder erschien es vordringlich, Rundfunkratsplätze für Migranten einzufordern, wie es Mehmet Kilic, der Vorsitzende des Bundesausländerbeirats, zum wiederholten Male tat, noch war Jammern darüber am Platz, dass Migrantengruppen in die Medien ihrer jeweiligen Heimatsprachen flüchteten.
Bereits die Grußwortredner konnten die aktuelle Studie „Migranten und Medien“ von ARD und ZDF ausgiebig zitieren. Auch die Einwanderer in unserer Gesellschaft sind demnach nun als Subjekte ihrer Mediennutzung erkannt; sie wählen unter einem mehrsprachigen Angebot nach ihren eigenen Bedürfnissen – das heißt, sie schauen auch deutschsprachige TV-Programme, wenn sie darüber die gewünschte Unterhaltung oder Information erlangen.
Martin Gebrande, Geschäftsführer der BLM, lobte ausdrücklich die öffentlich-rechtlichen, aber auch die nichtkommerziellen Anbieter im Lande für das Angebot an Sendungen, die sich explizit mit Migranten beschäftigen.
Eine der spannendsten Fragen der Tagung verbarg sich hinter der Feststellung, dass Kinder aller kulturellen und ethnischen Gruppierungen in Deutschland mit ähnlichen Vorlieben ins Medienleben starten; dass sie sich ohne großen Unterschied für Bob, den Baumeister, Sponge Bob und die anderen Figuren meist US-amerikanischer Herkunft begeistern, wie es Prof. Dr. Helga Theunert, wissenschaftliche Direktorin des JFF, feststellte. Von da an geht der Mediengebrauch biografisch auseinander. Die These des JFF lautet: Nicht die kulturelle Herkunft, die soziale Herkunft und das Bildungsmilieu sind dabei bestimmend. Prof. Dr. Heinz Bonfadelli von der Universität Zürich unterstützte und verschärfte diese Analyse: Migrantenkinder seien stark bildungsbenachteiligt, auch wenn der Bildungshintergrund ihrer Eltern herausgerechnet wird. Die auf dem Podium zu Recht und ganz aktuell beklagte soziale Selektivität des deutschen Schulsystems sorgt unter Anderem dafür, dass Zweisprachigkeit und ein bikultureller Hintergrund nicht als Ressource, sondern als doppeltes Defizit angesehen würden.
„Ich gehöre dazu und bin trotzdem anders,“ so formulierte Dr. Tarek Badawia von der Universität Mainz das Lebensgefühl vieler Jugendlicher aus Migrantenfamilien. Er plädierte für den „dritten Stuhl“. Die hier sozialisierten Migrantenkinder müssten weg davon, zwischen den Stühlen zu sitzen. Statt „entweder – oder“ müsse die Devise lauten: „Sowohl als auch.“
Staatsministerin Prof. Dr. Maria Böhmer hatte es in ihrer Videobotschaft betont: „Wir brauchen mehr Nachwuchs aus den Gruppen, die zugewandert sind.“ Sylvia Stange vom Bereich „Chancengleichheit und Diversity“ im Konzern Deutsche Telekom AG untermauerte dies vor Ort: Menschen mit Migrationshintergrund fehlen in den IT-Berufen (und nicht nur dort). Recht neu auf der Agenda ist die Frage nach der spezifischen Rolle der neuen Medien, sprich: Des Internets. Das World Wide Web kann nicht nur den Kontakt zur Heimatkultur erleichtern, sondern auch das Aufholen von Bildungsnachteilen und die Emanzipation unterstützen. Prof. Dr. Heinz Bonfadelli: Medien „können Integration, aber auch Exklusion fördern.“ Das Medium Internet bietet dazu eine ganze Palette von Themen für künftige Forschung und kommende Tagungen.
Fußnote: Wenige Tage später lernte ich bei einer Veranstaltung in Ludwigshafen Tamer Ergün, den Geschäftsführer des Berliner deutschtürkischen Radiosenders metropol fm kennen. Ein (erfahrener und erfolgreicher) Praktiker des interkulturellen Mediengeschäfts wie er hätte das Podium der Tagung „Interkulturell mit Medien“ bereichert.
Author: Hans-Uwe Daumann
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