Vorspruch
Was wird eigentlich aus den Menschen, die in den Offenen Kanälen in Hessen ihre ersten Medienerfahrungen sammeln, sich dort über mehr oder weniger lange Zeiträume ausprobieren und dann in die Welt hinausziehen? Dieser Frage widmen wir diese Ausgabe – am Beispiel von vier „Ehemaligen“. Es gibt viele solcher „Ehemaligen“, und eines ist fast allen gemeinsam: Sie halten Kontakt zum ihrem Offenen Kanal.
Praxis statt Theorie:
OK als Sprungbrett, …
… so könnte ich meinen Start beim Offenen Kanal Gießen 1997 wohl am besten beschreiben. Mein Name ist Michael Heger aus dem schönen Wettenberg – inzwischen Cottbus.
Aber von vorne:
Seit 1995 studierte ich an der Justus-Liebig-Universität Fachjournalismus Geschichte. Am meisten Spaß machte der Journalismusteil, und dort vor allem die praxisnahen Seminare wie das „Hörfunkseminar“ bei Journalisten des hr. Aber leider war da auch noch der Studienteil Geschichte. Trocken, ja fast langweilig. Also beschloss ich damals mit einem Kommilitonen, praktische Arbeit zu suchen. Dabei wurden wir auf den Offenen Kanal Gießen aufmerksam. Also nichts wie hin in den Unteren Hardthof. Dort liefen wir einer Gruppe junger Leute in die Arme, die ein Jugendmagazin in der Planung hatten, um neben endlosen Reisefilmen auch einmal den jungen Fernsehzuschauern den OK schmackhaft zu machen. Das Projekt nannte sich „hydrokult“. Von vornherein fiel mir auf: Die wollen alle etwas „Professionelles“ auf die Beine stellen. Der journalistische und technische Anspruch war hoch. Also genau das Richtige für uns Journalismusstudenten. Das Team war jung, locker und genauso euphorisch wie wir. Also ging es ans Werk.
Die ersten Magazinsendungen wurden produziert. Aber man wollte mehr: Es entstanden Livesendungen aus den Bereichen Talkshow, Sport und Kultur. „hydrokult“ wurde plötzlich immer mehr. Sogar so viel, dass das Studium langsam drunter litt. Aber endlich war praktische Arbeit möglich. Mit dem Ü-Wagen des OK Kassel war dann auch eine „Live-on-Tape“ Sportsendung von den Bundesligaspielen der Rollstuhlbasketballer aus Wetzlar realisierbar. Und wir konnten dafür als Kommentator sogar einen echten RTL-Journalisten gewinnen!
Wir entwickelten Jugend-Call-In-Sendungen zu aktuellen Themen, „hydrokult“ umfasste inzwischen mehrere Redaktionsgruppen. Nur irgendwie kostete es auch immer mehr Zeit: Nächtelanges Beitragssichten und -schneiden neben Studium oder Job, Studiosessions zur Vorproduktion der Sendungen … und das alle „für lau“? Das muss doch auch anders gehen! Der Rest ist schnell erzählt: Ein Großteil des Teams gründete im Gießener Gründerzentrum im Europaviertel eine Internetfirma namens „cyberchannel“. Ziel des Projekts: Radio im Internet, also das, was heute so selbstverständlich ist. Damals war es eine Neuheit. Leider hatten auch andere die Idee – und mehr Geld als wir. Anderthalb Jahre später war unsere Konkurrenz weg, uns gab es immer noch. Und wieder stand das alte hydrokult-Team vor einer Frage: Wenn wir richtig Geld verdienen und es professionell machen wollen, müssen wir aus Gießen weg. Und so zogen vier ehemalige hydrokulter nach Berlin. In einem schicken Loft ging cyberchannel.de zum Millenium aus der Hauptstadt auf Sendung. Trotz mehrerer Internetsender gleichzeitig war „richtig Geld verdienen“ aber immer noch nicht angesagt. Nur eins blieb konstant: Es kostete immer noch eine Menge Zeit – sogar noch viel mehr! Also musste Geld ran.
Und da kam uns unsere Fernseherfahrung aus OK-Gießen-Zeiten zugute: Für das Hauptstadtportal berlin.de entwickelten wir 2001 das „berlin.de Livetaxi“. Ein Taxi, das 16 Stunden am Tag mit mehreren Kameras Video und Audio auf eine Webseite übertrug. Wir waren stolz, denn so etwas gab es bis dahin weltweit noch nie. Das Taxi war so beliebt, dass auch viele Promis mit ihm fuhren: Wigald Boning, Playmates und die damaligen Big Brother Stars zum Beispiel. Nur leider war dieses tolle Projekt auch irgendwann vorbei. Und dann erging es uns wie vielen anderen Internetfirmen der Boomphase: Nach zwei Jahren war lediglich Enthusiasmus geblieben, und ein großes rotes Minus auf dem Konto. Also auf zu neuen Ufern.
Mein Glück war die Neugründung eines Radiosenders in der Lausitz. Im August 2002 ging Radio Cottbus auf Sendung. Seit Juni bereitete ich mit dem kleinen Team den Sendestart vor. Dann hieß es fast sechs Jahre lang, morgens früh aufstehen und die Region wecken in „Heger & Co.“ Danach folgten zwei Jahre Nachmittagssendung, und seit 2010 im zweiwöchentlichen Wechsel Früh- und Nachmittagsshow sowie die Programmverantwortlichkeit als Programmchef.
Um es mit einem Satz zu sagen: Hätte ich damals nicht nach Praxis gesucht und den Offenen Kanal Gießen als Betätigungsfeld gefunden, wäre ich heute sicher nicht in Cottbus hinter dem Radiomikrofon gelandet.
Author: Team MOK Gießen